Wo sind die Polymechanikerinnen? Wo sind die Ingenieurinnen und Informatikerinnen? Einerseits werden Frauen intensiv umworben und andererseits steigt der Anteil Frauen in den MINT-Berufen nur sehr langsam – wenn überhaupt. Die Suche nach Erklärungen und möglichen Lösungsansätzen ist facettenreich.

Der Nationalrat berät Ende September das Postulat der nationalrätlichen Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur «Bericht und Strategie zur Steigerung des Frauenanteils in MINT-Berufen». An der PH Graubünden entsteht momentan ein Roberta-Regio-Zentrum mit einem starken Fokus auf gendergerechte Lernumgebungen im Bereich Robotik. In Silvaplana hat diesen Sommer zum ersten Mal ein Workshop in Kooperation mit girlscodetoo stattgefunden, insbesondere zur Einführung von Mädchen in die digitale und technische Welt.

Projekte, Initiativen und politische Vorstösse zur Erhöhung des Anteils an Frauen im MINT-Bereich gibt es viele, vermehrt auch im Engadin. Wenn man sich jedoch die konkreten Zahlen anschaut, scheinen diese Aktivitäten (noch) nicht stark zu fruchten. Der Frauenanteil in MINT-Studienrichtungen und -Berufen steigt zwar, aber nicht in allen Fachbereichen, und zum Teil stagniert er sogar. Bei den Bachelor-Abschlüssen an Fachhochschulen machen die Frauen zum Beispiel in der Biotechnologie die Mehrheit aus. Andererseits sind die Zahlen in der Elektrotechnik in den letzten Jahren im einstelligen Bereich geblieben, mit minim steigender Tendenz.

Wo müsste man also den Hebel ansetzen, um eine nachhaltige und längerfristige Erhöhung des Frauenanteils in MINT-Berufen zu erreichen?

Alle können einen Beitrag leisten

Traditionelle Rollenbilder halten sich in der Schweiz besonders hartnäckig. Es gibt typische Männerberufe und typische Frauenberufe. Vor diesem Hintergrund sind weibliche Rollenvorbilder in MINT enorm wichtig. Frauen in MINT-Berufen müssen visibler werden, als Workshop-Leiterinnen, Projektleiterinnen, Expertinnen etc., und dies nicht nur für Mädchen, sondern für Kinder und auch für die Gesellschaft im Allgemeinen. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Projekt KIDSinfo der Schweizerischen Vereinigung der Ingenieurinnen SVIN.

Zudem muss sich das Image der MINT-Berufe – vor allem jenes der technischen und informatischen Berufe – ändern und modernisiert werden. Diese Berufe sind oft so abstrakt, dass man sich schon unter den Berufsbezeichnungen nichts vorstellen kann. Das wurde durchaus erkannt und zeigt sich in zahlreichen Kampagnen und Nachwuchsinitiativen der Berufs- und Branchenverbände, wie z.B. Faszination Technik der Branchenverbände Swissmem und Swissmechanic.

Damit sich Mädchen und junge Frauen vermehrt für MINT-Fachbereiche erwärmen, braucht es jedoch nicht zuletzt ein grosses Umdenken bei Unternehmen und in unserer Gesellschaft generell. Der Fachkräfte- und Nachwuchsmangel im MINT-Bereich besteht seit Jahren und wird nicht wirklich gemindert, indem weiterhin nur aus der Hälfte der Bevölkerung rekrutiert wird. Und solange die Pipeline nicht von unten gefüllt wird, gibt es nach wie vor nicht viel zu rekrutieren. Koordinierte Bestrebungen in der Nachwuchsförderung sind deshalb ein enorm wichtiger Ansatzpunkt.

Früh anfangen und kontinuierlich dran bleiben

Gerade bei Kindern und Jugendlichen ist das nähere Umfeld – bestehend aus Eltern, Schulen, Lehrpersonen, Peers usw. – zentral. Es geht darum, früh anzufangen mit der Sensibilisierung und Interessensweckung sowie auch mit der Erziehung und Ausbildung frei von Geschlechterstereotypen. Die Mädchen sollen bereits früh positive Erfahrungen machen mit MINT-Themen.

Noch viel wichtiger ist es jedoch, kontinuierlich dran zu bleiben. Frühe Förderung bringt nicht viel ohne Kontinuität. MINT-Themen also immer wieder aufgreifen, nicht nur in der Schule, sondern auch zu Hause. Gerade bei Mädchen, die einen sogenannt «geschlechtsuntypischen» Berufsweg einschlagen, ist das Zusammenspiel des gesamten Umfelds zentral. Am besten funktioniert es, wenn alle am gleichen Strang ziehen und tolle MINT-Projekte in der Schule mit ausserschulischen Angeboten kombiniert werden.

Die Plattform educamint der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften SATW gibt einen guten Überblick über MINT-Angebote für Schule und Freizeit. Zudem gibt es tolle Sammlungen von Experimenten, die einfach und kostengünstig zu Hause ausprobiert werden können. Empfehlenswert sind EXPERIO@home, das digitale Angebote des Schullabors Experio Roche, oder auch die Experimente für Kids und Experimente für Teens von SimplyScience.

Veranstaltungshinweis: Rollenmodelle erleben können die Mädchen der Fusionsgemeinde Scuol am Samstag, 19. November 2022. Zonta Engiadina und das Amt für Berufsbildung Graubünden laden zur Veranstaltung «Meis Avegnir – Mattas s'inscuntran cun duonnas professiunalas inspirantas» ein. Mädchen aus anderen Engadiner Gemeinden, die teilnehmen möchten, können sich bis am 4. November 2022 bei Dr. Béatrice Miller melden.

Lesen Sie hier von den Erfahrungen einer jungen Frau aus Scuol, die sich für ein Studium an der ETH Zürich entschieden hat.

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Text: Clelia Bieler, Koordination Netzwerk MINT Engiadina und Geschäftsführerin Frau MINT

Bild: Béatrice Miller, Leiterin Bildungsinitiativen miaEngiadina | i-CAMPs Kids Engiadina 2022