Benjamin Bosshard, selbsternannter «Corporate Digital Nomad», arbeitet als Legal Engineer (Jurist) im Innovations-Team der AXA-ARAG Rechtsschutzversicherung. Der 35-Jährige kommt aus Zürich und hat die Loipen, Pisten, Wälder und Sonnenterrassen des Engadins zu seinem Arbeitsort gemacht – neben vielen weiteren kreativen Arbeitsorten in der Schweiz, zum Beispiel auf einem Segelboot auf dem Zürichsee.

Benjamin, du bezeichnest dich als «Corporate Digital Nomad», was verstehst du darunter?

Für mich ist ein «Corporate Digital Nomad» jemand, der bei einer Grossfirma fest angestellt ist, aber weitgehend ortsunabhängig arbeiten kann. Diese Freiheiten werden durch wiederholtes Wechseln des Lebensortes zum Vorteil der Firma und des Arbeitnehmenden genutzt. Gemeinsam werden die Rahmenbedingung festgelegt. Bisher war dies in grösseren Firmen in der Schweiz kaum möglich, seit der Corona-Pandemie beobachte ich aber eine starke Veränderung.

Was ist die Philosophie hinter deinem Lebensstil?

Ich habe in den letzten zwei Jahren gemerkt, dass ich als «Minimalist» viel glücklicher bin. Das heisst für mich nicht, möglichst wenig Dinge zu besitzen, sondern nur genau diejenigen, die ich auch häufig brauche. Mittlerweile lagert ein Grossteil meiner Habseligkeiten in einem Keller in Zürich und ich nehme jeweils nur das mit, was ich am entsprechenden Lebensort benötige. Der häufige Wechsel von Wohnung und Arbeitsplatz gibt mir viel Energie und hat mir geholfen, meine Bedürfnisse besser kennenenzulernen und zu merken, welche Aspekte wirklich wichtig sind und welche weniger. So verzichte ich beispielsweise auf grosse Schränke, dafür richte ich mir stets eine Tee-Ecke mit frischem Ingwer & Honig ein. Gleichzeitig schätze ich aber auch die Konstanz, wenn ich eine Zeit lang hier in St. Moritz lebe oder für eine Weile in Zürich stationiert bin. Der regelmässige persönliche Kontakt zu meinem Team und meinen Bürogspändlis ist mir sehr wichtig und eine Grundlage, um auch Remote zielorientiert arbeiten zu können.

Arbeiten auf einem Segelboot: «Ein gelungener Tag ist, wenn Herz, Hand und Kopf zum Zug kommen.»

Du arbeitest als «Legal Engineer» im Innovations-Team. Erzähle uns ein bisschen über deinen Job bei der AXA-ARAG?

Das ist eine neuere Berufsbezeichnung, für die es noch keine offiziellen Ausbildungsgänge in der Schweiz gibt. Man kann es mit einem «Wirtschaftsinformatiker» vergleichen. Ich habe Rechtswissenschaften studiert,  ‘on the job’ dann aber noch Programmier-, Projekt- und IT-Fachwissen aufgebaut. Früher war ich für den Betrieb von Software-Robotern verantwortlich, die bestimmte Prozesse unterstützen. Heute arbeite ich an einer neuen digitalen Rechtsberatungs-Plattform mit und entwickle dessen Geschäftsmodell weiter. Mein langjähriges Engagement bei der Pfadibewegung Schweiz hat mir hierfür wertvolle Grundlagen gegeben. Zudem lernte ich dort auch, schnell neues Wissen aufzubauen, Stärken zu fördern und Erfahrungen im Team zukunftsorientiert zu reflektieren.

Du hast das Konzept der «Workation» perfektioniert. Wie machst du das und wie können wir uns einen normalen Arbeitstag von dir vorstellen?

Workation heisst für mich, dass man an einem schönen Ort lebt (oder für eine Weile arbeitet), an dem andere vermutlich Ferien verbringen würden. Hier im Engadin bieten sich im Sommer wie auch im Winter viele Sport- und Naturerlebnisse an, die mit der Arbeit in Einklang gebracht werden können. Dies bedingt aber auch eine frühzeitige und umfassende Planung. Spätestens am Vorabend lege ich fest, wie mein kommender Tag aussehen wird. Benötigtes Material liegt bereit, allfällige Routen und Verbindungen sind abgeklärt, geeignete Orte für Arbeitseinsätze ebenfalls. Zentral ist für mich, an einem Arbeitstag möglichst wenig mit organisatorischen Aspekten meiner Freizeitaktivitäten belastet zu sein. Gleichzeitig lege ich bewusst Zeiten fest, wann ich das Haus verlasse und welche Tätigkeiten auch im Freien ausgeführt werden können. Ein gelungener Tag ist, wenn Herz, Hand und Kopf zum Zug kommen.

Wie unterstützt die AXA-ARAG dein multi-lokales Lebensmodell?

Die AXA Schweiz hat bereits Partnerschaften mit nationalen Coworking-Institutionen, sodass wir in diesen Spaces kostenlos arbeiten können. Ausserdem bietet unser «Smartworking-Arbeitsmodell» grosse Freiheiten in Absprache mit dem Team und den Vorgesetzten. Pro Jahr können AXA-Mitarbeitende bis zu 30 Tagen im Ausland tätig sein, wenn es ihre Funktion erlaubt. Ich bin mir bewusst, dass ich in dieser Firma ein Vorreiter bin. Vieles ist noch nicht geregelt und es gibt wenig Erfahrungswerte. Genau diese möchte ich schaffen und weitergeben, um meinen Kolleg*innen Unterstützung beim Ausprobieren von Workations zu bieten.

Das Engadin ist dein «Bergbüro», du bewegst dich in Wäldern, auf der Piste und in den Mountain Hubs von miaEngiadina. Weshalb funktioniert die Arbeit im Hochtal so gut?

Es ist aus meiner Sicht kein Zufall, dass die Leser*innen der «Schweizer Illustrierten» das Engadin zum «Digi-Tal» der Schweiz gewählt haben. Verschiedenste Coworkings, schnelle Glasfaserverbindung, guter Mobilfunkempfang und atemberaubende Natur verbinden sich hier ideal. Auch die Community der «Digital Nomads» wächst stetig an. Das Flachland ist mit dem Zug gut erreichbar, obwohl ich mittlerweile nur noch selten nach Zürich fahre. Zur Erholung bietet sich da eher «dolce far niente» in einem der nahegelegenen norditalienischen Orte an.

Interview

Andrina Brunner, Leiterin InnHub PopUp und Neue Projekte bei miaEngiadina

Mehr Informationen

www.miaengiadina.ch

*Bilder: miaEngiadina / Benjamin Bosshard